Dienstag, 13. November 2007
Vergangenheit schlechtreden
Insgesamt erwecke ich mit meinem Geschreibse vermutlich den Eindruck, dass mein früheres Leben eine einzige Mühsal war. So schwarz/weiss ist das nicht. Ich habe viel Schönes erleben dürfen. Das gilt ganz besonders für mein Privatleben.

Um meine zahlreichen und teilweise langjährigen Freundschaften werde ich oft benieden. Da bin ich auch stolz drauf. Nicht zuletzt war ja auch die Angst, dass sich Freunde (und vor allem meine Partnerin) von mir abwenden könnten, eine Motivation, auf Alkohol zu verzichten.

Beruflich bin ich nicht stehengeblieben, auch darauf bin ich stolz. Ich habe mich weiterentwickelt, wenn auch auf mühsame Art und Weise. Manchmal werde ich gefragt: «Wie hast Du das denn gemacht, dass Du Deine Leistung erbringen konntest?» Meine Überzeugung ist die, dass Alkoholiker hervorragende Leistungen erbringen können. Wenn sie denn wollen. Und: Der Aufwand dafür ist um ein Mehrfaches höher. Das verlangt ein enormes Mass an Selbstdisziplin. Um alle Ansprüche zu erfüllen, reicht es dann irgendwann nicht mehr. Dann leidet halt dann doch der Beruf. Oder noch gravierender: die Beziehung.

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Entscheide treffen
Entschlussfreude ist nicht das, was den Alkoholiker auszeichnet. Nicht nur der fehlende Mut, das grosse Problem endlich aktiv anzupacken, ist ärgerlich. Wenn ich manchmal höre, aus welcher Mücke meine trinkenden Bekannten Elefanten machen, könnte ich fast die Wände hoch. Und zwar deshalb, weil ich genau gleich war. Was habe ich kleinste Aufgaben vor mir hergeschoben bis sie grösser und grösser schienen und mir damit immer weniger überwindbar vorkamen!

Taucht heute ein Problem auf, versuche ich es so schnell wie möglich anzupacken. Weg ist weg und damit schneller vergessen. Die Erkenntnis ist nicht neu, die hatte ich schon damals. Nur, der innere Schweinehund stand mir massiv im Weg.

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Sonntag, 11. November 2007
Moment verpasst
Dass das so nicht weitergehen konnte, war mir sonnenklar. Diese Zeit liegt nun ungefähr drei Jahre zurück. Hier reifte der Entschluss, die Trinkerei sein zu lassen. Der Weg zur Umsetzung war ab diesem Zeitpunkt noch weit. Hier hätte ich sofort einen Strich ziehen müssen. Hätte ich gewusst, was sich allein durch den Verzicht auf Alkohol für mich alles zum Besseren wenden kann, hätte ich wohl keine Sekunde mehr gezögert.

Das ist es, was mich heute bei trinkenden Freunden immer so ärgert. Wenn die wüssten, wie gut sie’s haben könnten! Nachhelfen kann ich dieser Erkenntnis leider nicht. Die muss Jede und Jeder für sich selber erlangen. Schade! Ich würde viel darum geben, wenn ich das Rezept finden würde, das anderen diesen Prozess zu beschleunigen hilft.

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Freitag, 9. November 2007
Erfolgsdruck
Wenn der Druck nicht von aussen kam, legte ich mir selber welchen auf. Ein gewisser Ehrgeiz kann nicht schaden, zu hohe eigene Erwartungen können sich fatal auswirken. Gelassenheit ist für mich der wesentliche Erfolgsfaktor geworden.

Gewöhnt, dass Arbeit ein «müssen» und kein «dürfen» ist, habe ich immer wieder versucht, mich noch mehr anzustrengen. Mein Selbstverständnis war das eines faulen Menschen. Das bin ich irgendwie schon. Aber seit es mir gelungen ist, Druck wegzunehmen, fällt mir vieles unendlich leichter, auch Dinge, die mir unangenehm waren.

Zu meiner Entkrampfung trug nicht zuletzt die Tatsache bei, dass ich gewisse Ziele erreichen konnte. Manche davon nicht ohne mühsame Umwege. Was ich in jungen Jahren versäumt hatte, wollte ich nachholen. Um jeden Preis. Ich brannte ziemlich aus, mit den Nerven war ich fast am Ende. Meine Belastbarkeit war wegen meines Alkoholkonsums ohnehin nicht die höchste. Nun bewegte ich mich am Limit. Um mich zu beruhigen, trank ich noch mehr.

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Dienstag, 6. November 2007
Bewertungen
Fast eine Art Schockerlebnis hatte ich, als mir klar wurde, dass mich mein Umfeld komplett anders einschätzt als ich mich selber sah. Missverständnissen öffnet dieser Umstand Tür und Tor.

Ich war mir gewohnt, als geschwätzige Person wahrgenommen zu werden. Das war ich. Dann änderte ich meinen Wohnort und bemühte mich, Gespräche nicht dauernd zu unterbrechen, möglichst niemandem ins Wort zu fallen. Natürlich gelang das nicht immer. Aber immerhin so gut, dass ich als schweigsame Person wahrgenommen wurde.

Meine Selbstkontrolle war aber so wirksam wie die leicht angezogene Handbremse. Im Rückblick weiss ich, dass ich so selten eine natürliche Lockerheit genoss. Dass ich auch noch mit einem Alkoholproblem kämpfte, entkrampfte mich auch nicht gerade . . .

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Vergleiche
Vergleiche können lähmen oder gar deprimieren. Wenn andere nebst der Arbeit noch hundert verschiedene Aktivitäten verfolgten, beeindruckte mich das stets schwer. Dass die dabei ausbrennen könnten, zog ich gar nie in Betracht. Im Vergleich fühlte ich mich schwach, weil ich nicht so viel zu leisten vermochte wie sie.

Heute gibt es nur noch einen Massstab: meinen eigenen. Verglichen mit früher, versetze ich heute Berge. Nur das zählt, was andere alles leisten, ist unwichtig. Wenn beispielsweise jemand mit drei Stunden Schlaf durchkommt finde ich das toll. Aber es interessiert mich nicht länger. Ich brauche mindestens sechs bis sieben, besser wären neun.

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Montag, 5. November 2007
Selbstwert aufbauen
Wir Männer tendieren etwas dazu (und ich früher sehr stark), den Selbstwert vor allem durch Erfolg im Beruf zu messen. Mittlerweile weiss ich, dass diese einseitige Fixierung Gefahren birgt. Okay, viele Männer werden das anders sehen und den Erfolg beim anderen Geschlecht ins Zentrum stellen.

Wie dem auch sei, selber habe ich gelernt, dass ich die Erfolgserlebnisse auf mehreren Ebenen anstreben sollte. Nicht krampfhaft anstreben, aber wenigstens zulassen. Dies mache ich beispielsweise in Freundschaften (gemeinsame Erlebnisse), beim Zeichnen (Resultate sind immer noch lausig, aber schon um vieles besser), im Sport (so fit war ich schon lange nicht mehr), durch Sprachen (geiles Gefühl, sich mit Fremden fliessend zu unterhalten).

Definition Selbstwert/Selbstvertrauen:
Selbstvertrauen ist die Überzeugung, etwas zu können. Der Selbstwert geht darüber hinaus und beinhaltet Werte, die nicht zwingend mit Kompetenzen zu tun haben. Bei der Selbstakzeptanz schliesslich darum, wie wir zu unseren Schwächen und den negativen Aspekten des Selbst stehen.

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Sonntag, 4. November 2007
Erfahrungen zu Nutze machen
In den Jahren vor meinem freiwilligen Entzug habe ich bereits vieles richtig gemacht und damit den jetzigen Erfolg vorbereitet. Einiges nahm ich mir ganz bewusst vor, anderes machte ich unbewusst richtig. Teilweise irrte ich mich in meinen Ansichten. Gewisse Erfahrungen, so schmerzhaft sie manchmal waren, möchte ich nicht missen. Indem ich sie nicht verdrängt habe, mache ich sie mir heute zu Nutzen.

Unbewusst habe ich über längere Zeit an der Stärkung meines Selbstwertgefühls gearbeitet. Teilweise geschah das auch bewusst, die für mich rückblickend entscheidenden Schritte machte ich damals noch unbewusst. Mir dämmerte beispielsweise, dass Vergleiche mit anderen Personen und deren Leistungsvermögen deprimierend sein können. Dass die Pflege von Hobbys so eng mit dem Selbstwert in Zusammenhang stehen, weiss ich erst seit kurzem.

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Samstag, 3. November 2007
Kommunikation/Psychologie
Über die Kommunikation kam ich zur Psychologie. Die Grenzen zwischen diesen Themen sind fliessend. Nicht, dass ich mich jetzt als Experten darin sehen würde. Pseudo-Experten erachte ich übrigens als besonders gefährlich. Die Gefahr besteht allerdings, dass ich mich in diese Richtung entwickle . . . Deine gesunde Skepsis ist also durchaus angebracht!

Könnte ich heute das Rad der Zeit zurückdrehen, würde ich mich sofort mit einem Thema beschäftigen: Selbstwert.

Selbstwert, Selbstvertrauen und Selbstakzeptanz sind die Schlüsselwörter dafür, wie viel einem gelingen kann oder eben wie wenig.

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Freitag, 2. November 2007
Reflektieren mit Freunden
Auf gewisse Dinge kam ich selber, vieles entwickelte sich in Diskussionen mit Freunden. Vor allem aber war mir meine damalige Partnerin eine wichtige Stütze. Zusammen analysierten wir beispielsweise Konfliktsituationen, in denen ich mich fast hilflos ausgeliefert fühlte. Sie betrafen vor allem mein Berufsleben. Stellte ich nicht selber mein Verhalten in Frage, tat sie es. Dies keineswegs in einem abwertenden Sinn.

Ich begann, mich nun mit Kommunikation noch bewusster auseinanderzusetzen. Vieles, was ich gelesen habe, wusste ich längst. Nur, war es mir auch bewusst? Und wenn ja, wie deutlich? Jedenfalls beobachtete ich mich selber immer genauer.

Wie äussere ich mich? Was sind die unterschwelligen Botschaften, die ich vermittle. Was sage ich «zwischen den Zeilen?» Mit der Zeit fiel mir beispielsweise auf, dass ich auf Komplimente immer gleich reagierte: «Ja, das kann ich recht gut, aber . . .» Dieses «aber» habe ich bis heute nicht ganz aus meinem Denken weggekriegt.

Es gibt da Einen in meinem Freundeskreis, der könnte mich jeweils ohrfeigen, wie ich meine Erfolge kleinrede. Recht hat er.

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